Ellan Vannin bezeichnet: die Isle of Man auf Manx-Gälisch
Das
Künstlerviertel
Ihr
klopfte das Herz im Hals, im Unterkiefer, es biss in die Ohren und
ließ ihr Denken einfrieren.
Als
sie in die Straße einbog, war es, als hätte sie sie keinen Moment
verlassen.
Sie
meinte sogar den Hauch ihres Parfümes von damals zu riechen.
Wie
damals wehte ein leichter Wind um die Häuserfronten, brachte die
Tischdecken auf den Caféhaustischen vor den Kneipen zum Schwingen
und wehte Papierfetzen an die Stuhlbeine, die dort wie bunte Wimpel
hängenblieben.
Noch
immer roch es nach Bratfett, Kaffee, nach dem Rauch dicker Zigarren
und ebenso nach der Leichtigkeit der langen schmalen Zigaretten, die
sie so mochte.
Nun,
sie rauchte nicht mehr.
Lebte
ein minimalistisches Leben, genau struktuiert, geplant, ausgeführt.
Aber
heute war sie ausgebrochen. Weggelaufen.
Hatte
sich nach zwanzig Jahren in den Bus gesetzt, war in die Großstadt
gefahren, hatte das – ihr Viertel! - gesucht – und hatte vehement
die Angst niedergehalten, die ihr die Frage stellte, ob sie alles
wiederfinden würde und nicht zu enttäuscht wäre, wäre alles
anders.
Sie
bog also ein in die breite Passage zwischen Alt- und Neustadt, die
eine große Fußgängerzone war. Immer noch.
Ja,
da war der Schuhladen in dem sie vor zwanzig Jahren mit ihrer Mutter
stand, die ihr damals dort blaue Pumps gekauft hatte.
Und
da war auch der Schmuck An- und Verkauf. Hier hatten sie etliches
Silber veräußert, als sie so in Geldnot waren. In Gedanken hörte
sie das kleine Glöckchen schlagen, wenn man die Ladentür öffnete.
Vieles
war noch so, wie es damals war.
Aber
mehr noch hatte sich verändert.
Nicht
hatte sich verändert, dass sie immer noch an ihren Traum dachte, der
mit dieser Straße, mit diesem Viertel und seinen Künstlerkneipen –
und mit einer Begegnung zu tun hatte.
***
Die
Lage war perfekt.
Der
Duft, der über allem hing, einzigartig.
Sie
suchte sich unter den unbesetzten Tischen den heraus, der am
weitesten von der Eingangstür zur Kneipe entfernt lag, von dem aus
sie den Überblick hatte, von dem aus sie beobachten konnte.
Sie
wartete und hoffte.
Und
während sie hoffte, dachte sie.
Und
während sie dachte, zog sie ihre Tasche heran, kramte ihren
Skizzenblock und die Blechschachtel mit den erst frisch gespitzten
Stiften heraus und begann zu zeichnen.
Da,
das junge Mädchen mit den offenen Haaren, der blassen Haut. Ganz
leicht nur zeichnete sie die Umrisse auf das leere Papier. Das feine
Haar, die leichten Strähnen, die wie Flügel um ihr Gesicht wehten,
das kleine Ohr, die Wimpern.
Sie
zeichnete den alten Mann, der unablässig in die große Kastanie
mitten auf dem Platz vor der Kneipe starrte.
Sie
nahm die Umrisse einer Gruppe von Diskutierenden in der Gasse auf,
welche hinaus aus dem Viertel führte.
Und
dann legte sie ihren Stift weg.
Da
kam er, der Traum, der Wunsch.
Ihn
hier zu treffen.
Ihm
hier zu begegnen. Gerade in diesem Duft, gemixt aus frischer Seife
(hier trafen sich Menschen, die zwangsweise einer Arbeit nachgingen,
die nach Hause kamen, sich duschten, umzogen und sich dann in dieser
Kneipe trafen und endlich sein durften was sie waren: kunstbeseelte,
kunstbessene Wesen), aus Essenzen guter Speisen gepaart mit dem
Geruch eines frischgezapften Bieres, manchmal auch nach verlöschenden
Kerzen.
So
oft sie hier gesessen war – nie war er gekommen. Nie hatte sich
erfüllt, was sie sich wünschte, wovon sie ständig träumte, es
nicht lasssen konnte, obwohl sie von der Aussichtslosigkeit wusste,
dass sich der Traum würde erfüllen können.
Dennoch
träumte sie ihn. In der wilden, verzweifelten Hoffnung, dass sich
doch eines Tages ereignen würde, was sie so umtrieb.
Dass
er käme.
Und
sein Wesen würde sie einhüllen, einfrieden, festhalten, besingen …
Nein,
er kam nie.
(gh 2013)