23.03.2015

Zusammengesponnenes (# 1)





 Ellan Vannin bezeichnet: die Isle of Man auf Manx-Gälisch





Das Künstlerviertel

Ihr klopfte das Herz im Hals, im Unterkiefer, es biss in die Ohren und ließ ihr Denken einfrieren.

Als sie in die Straße einbog, war es, als hätte sie sie keinen Moment verlassen.
Sie meinte sogar den Hauch ihres Parfümes von damals zu riechen.
Wie damals wehte ein leichter Wind um die Häuserfronten, brachte die Tischdecken auf den Caféhaustischen vor den Kneipen zum Schwingen und wehte Papierfetzen an die Stuhlbeine, die dort wie bunte Wimpel hängenblieben.

Noch immer roch es nach Bratfett, Kaffee, nach dem Rauch dicker Zigarren und ebenso nach der Leichtigkeit der langen schmalen Zigaretten, die sie so mochte.
Nun, sie rauchte nicht mehr.
Lebte ein minimalistisches Leben, genau struktuiert, geplant, ausgeführt.

Aber heute war sie ausgebrochen. Weggelaufen.
Hatte sich nach zwanzig Jahren in den Bus gesetzt, war in die Großstadt gefahren, hatte das – ihr Viertel! - gesucht – und hatte vehement die Angst niedergehalten, die ihr die Frage stellte, ob sie alles wiederfinden würde und nicht zu enttäuscht wäre, wäre alles anders.

Sie bog also ein in die breite Passage zwischen Alt- und Neustadt, die eine große Fußgängerzone war. Immer noch.

Ja, da war der Schuhladen in dem sie vor zwanzig Jahren mit ihrer Mutter stand, die ihr damals dort blaue Pumps gekauft hatte.
Und da war auch der Schmuck An- und Verkauf. Hier hatten sie etliches Silber veräußert, als sie so in Geldnot waren. In Gedanken hörte sie das kleine Glöckchen schlagen, wenn man die Ladentür öffnete.
Vieles war noch so, wie es damals war.
Aber mehr noch hatte sich verändert.

Nicht hatte sich verändert, dass sie immer noch an ihren Traum dachte, der mit dieser Straße, mit diesem Viertel und seinen Künstlerkneipen – und mit einer Begegnung zu tun hatte.

***

Die Lage war perfekt.
Der Duft, der über allem hing, einzigartig.
Sie suchte sich unter den unbesetzten Tischen den heraus, der am weitesten von der Eingangstür zur Kneipe entfernt lag, von dem aus sie den Überblick hatte, von dem aus sie beobachten konnte.
Sie wartete und hoffte.
Und während sie hoffte, dachte sie.
Und während sie dachte, zog sie ihre Tasche heran, kramte ihren Skizzenblock und die Blechschachtel mit den erst frisch gespitzten Stiften heraus und begann zu zeichnen.

Da, das junge Mädchen mit den offenen Haaren, der blassen Haut. Ganz leicht nur zeichnete sie die Umrisse auf das leere Papier. Das feine Haar, die leichten Strähnen, die wie Flügel um ihr Gesicht wehten, das kleine Ohr, die Wimpern.
Sie zeichnete den alten Mann, der unablässig in die große Kastanie mitten auf dem Platz vor der Kneipe starrte.
Sie nahm die Umrisse einer Gruppe von Diskutierenden in der Gasse auf, welche hinaus aus dem Viertel führte.
Und dann legte sie ihren Stift weg.
Da kam er, der Traum, der Wunsch.
Ihn hier zu treffen.
Ihm hier zu begegnen. Gerade in diesem Duft, gemixt aus frischer Seife (hier trafen sich Menschen, die zwangsweise einer Arbeit nachgingen, die nach Hause kamen, sich duschten, umzogen und sich dann in dieser Kneipe trafen und endlich sein durften was sie waren: kunstbeseelte, kunstbessene Wesen), aus Essenzen guter Speisen gepaart mit dem Geruch eines frischgezapften Bieres, manchmal auch nach verlöschenden Kerzen.

So oft sie hier gesessen war – nie war er gekommen. Nie hatte sich erfüllt, was sie sich wünschte, wovon sie ständig träumte, es nicht lasssen konnte, obwohl sie von der Aussichtslosigkeit wusste, dass sich der Traum würde erfüllen können.
Dennoch träumte sie ihn. In der wilden, verzweifelten Hoffnung, dass sich doch eines Tages ereignen würde, was sie so umtrieb.
Dass er käme.
Und sein Wesen würde sie einhüllen, einfrieden, festhalten, besingen …

Nein, er kam nie. 

 (gh 2013)

2 Kommentare:

  1. Soooo schön und traurig zugleich.
    Ich kann es richtig nachfühlen.
    Liebe Grüße
    Birgit

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  2. Liebe Gisa,
    soooo schööön!!Der Text und auch die Musik!!
    Liebe Grüße, Anke

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